Dr. Patrick Bronner
Wie können wir sicherstellen, dass Schüler*innen KI-Werkzeuge lernförderlich sowie reflektiert nutzen?
Wie kann KI sinnvoll in Projektarbeiten integriert werden?
Welche Möglichkeiten gibt es, KI zum individuellen Üben einzusetzen?
Die Chancen und Risiken von KI-Tools sollten von allen Lehrer*innen im Unterricht sowohl fachsystematisch als auch allgemein thematisiert werden.
In Physik können die Newtonschen Axiome im direkten Dialog mit Sir Isaac Newton über den KI-Chat erarbeitet werden. In Chemie kann eine von ChatGPT erstellte Versuchsanleitung analysiert oder in Mathematik eine formulierte mathematische Herleitung bewertet werden.
Die Tatsache, dass die Antworten von ChatGPT, insbesondere in der kostenlosen Version 3.5, nicht perfekt sind, ist für das Lernen sehr hilfreich. Allerdings benötigen die Schüler*innen zur Bewertung der Antworten der Text-KI ein solides Fachwissen und gleichzeitig ein gutes Textverständnis.
Neben der Analyse der Antworten sollte im Unterricht auch Wert auf die Erstellung von Prompts gelegt werden. Je präziser und detaillierter der Prompt formuliert ist, desto passender und genauer ist die Antwort von ChatGPT. Die Lernenden können z. B. einen gut funktionierenden Prompt schrittweise verschlechtern, bis ChatGPT zu halluzinieren beginnt und inhaltliche Fehler in der Antwort auftreten.
Ein Beispiel aus dem Mathematikunterricht ist die Konstruktionsanweisung für den Umkreis eines Dreiecks im Mathematikunterricht der Klasse 7 (siehe Bild). Der Merksatz, den eine Schülerin dabei formulierte, gilt für alle Fächer, Klassenstufen und KI-Tools:
„Wenn man eine gute Antwort haben will, muss der Prompt präzise sein.
Ohne Fachwissen bist Du bei ChatGPT verloren.“
Bei der Erstellung von Grafiken mit einer Bild-KI, z.B. zur Darstellung eines nerdigen Mathematiklehrers in Klasse 7 (siehe Bild), kommt es wie bei ChatGPT auf eine detaillierte und präzise Prompt-Eingabe an. Zunächst müssen sich die Lernenden das gewünschte Bild genau vorstellen und der KI die Vorstellung detailliert beschreiben.
Neben den Vorteilen der KI-Bilderstellung, wie z.B. keine Urheberrechte, sollte im Unterricht auch auf die dabei vorhandenen Stereotypen (z.B. mit dem Material der Seite https://bit.ly/3UUVCFo) und die Produktion von Fake-Bildern (z.B. mit dem Selbsttest der Zeitschrift SPIEGEL https://bit.ly/3OhFWJ1) eingegangen werden.
Zur Erstellung eines Bild-Prompts können die Schüler:innen im Unterricht angeleitet werden, KI-Tools zu kombinieren und so zunächst im Dialog mit ChatGPT einen passenden Bild-Prompt zu entwickeln:
„Bitte hilf mir, einen Prompt für die KI-Bilderstellung zu schreiben.
Stelle zunächst alle Fragen, damit du einen guten Prompt entwickeln kannst.
Stelle die Fragen einzeln und warte immer auf meinen Input.
Erstelle aus meinen Antworten den gewünschten Prompt für die KI-Bilderstellung.“
Wenn künstliche Intelligenz Lerngegenstand ist, dann sollte KI auch Prüfungsgegenstand sein, sonst nehmen es viele Schüler*innen nicht ernst.
In der Unterstufe kann im Fach Mathematik ein ChatGPT-Dialog mit ungenauem Prompt und unklarer Antwort in Form eines Bildes in die Klassenarbeit integriert werden: Beispiel eines ungeeigneten Prompts: „Erstelle mir bitte eine Anleitung in einzelnen Schritten, wie man den Innkreis [Rechtschreibfehler: Inkreis] konstruiert [fehlende Angabe: in welcher geometrischen Figur]“ (siehe Bild). Aufgabe für die Schüler*innen ist es, den Prompt zu verbessern, die richtigen und falschen Schritte in der Antwort von ChatGPT mit grünen und roten Markern zu markieren und schließlich die falschen Antworten handschriftlich zu korrigieren.
In Tablet-Klassen können die Schüler*innen direkt in der Klausur mit ChatGPT arbeiten. Im Fach Physik können zu einer Aufgabenstellung von Schüler*innen passenden Mega-Prompt formuliert und die resultierende Antwort genau analysiert und mit dem Tablet-Stift digital korrigiert werden (siehe Bild).
Das langfristige Ziel für den zeitgemäßen Unterricht mit digitalen Medien und KI-Tools sollte ein Wandel der Lernkultur vom lehrerzentrierten behavioristischen zum schülerzentrierten konstruktivistischen Lernverständnis sein.
Durch die Verknüpfung einer guten IT-Ausstattung (1:1 Schüler-Tablets) mit dem konstruktivistischen Ansatz können völlig neue Lernszenarien im Unterricht erschlossen werden.
Ein Zugang zu einem solchen schüler:innenzentrierten Lernszenario ist die Verknüpfung von KI-Tools mit offenen, forschenden und projektartigen Arbeitsaufträgen. Mit einer offen formulierten Aufgabenstellung z. B. im Rahmen einer Projektarbeit werden die Schüler:innen zu Produzent:innen ihres eigenen Wissens.
Im Rahmen der Projektmethode erleben die Lernenden einen hohen Grad an Handlungsorientierung, Selbstwirksamkeit, sozialer Eingebundenheit und Autonomie.
Im Schuljahr 2023/24 bearbeitete die Klasse 9a im Physikunterricht des Friedrich-Gymnasiums Freiburg zwei digitale Projektarbeiten: Das erste Projekt im Dezember 2023 beschäftigte sich mit dem Energieverbrauch von Weihnachtsbeleuchtung und der Forderung nach einem Verzicht aus Umweltschutzgründen. Das zweite Projekt im Mai 2024 beschäftigte sich mit dem Thema "Induktion im Alltag".
Für die Recherche und die Erstellung des jeweiligen Lernprodukts (Erklärvideo) konnten die Schüler:innen KI-Tools wie ChatGPT und Dall-E nutzen. Als Hilfestellung erhielten die Lernenden einen "Spickzettel" mit KI-Prompts, die sie bei der Bearbeitung des Projekts unterstützten (siehe Bild).
Projektbericht zum Thema "Weihnachtsbeleuchtung" mit den Ergebnissen der Schüler:innen: https://bit.ly/3tjfgjn. Das Projekt zum Thema "Induktion im Alltag" ist noch nicht abgeschlossen und wird zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.
Die Aufgabenstellung für die beiden Projekte wurde vom Physiklehrer bewusst so ergebnisoffen gestaltet, dass es nicht nur eine richtige Lösung gibt. Die typischen geschlossenen Aufgabenstellungen, die bisher den MINT-Unterricht dominieren, machen im Zeitalter der künstlichen Intelligenz für ein Referat, eine GFS oder ein Erklärvideo keinen Sinn mehr: Das eine richtige Ergebnis wäre durch die Antwort von ChatGPT sofort verfügbar und müsste von den Lernenden ohne eigene Denkleistung nur noch abgeschrieben werden.
Bei der Projektarbeit "Weihnachtsbeleuchtung" hing das Ergebnis jeder Gruppe von der gewählten Lichterkette (drei Modelle standen zur Auswahl), den Annahmen zu den Energiekosten (abhängig vom Stromanbieter), den individuellen Messergebnissen (Wärmekapazität von Punsch) und den recherchierten Kosten für eine Tasse Kaffee (gewählte Marke) ab. Bei der Projektarbeit "Induktion" war eine Auswahl von verschiedenen Alltagsanwendungen vorhanden, die mit einer offen gestalteten Aufgabenstellung verknüpft wurde. Entscheidend für ein gelungenes Lernprodukt war daher die gewählte Art der Begründung.
Grundlage für eine transparente Benotung der Projektarbeit war ein Erwartungshorizont (siehe Bild). Dieser gab den Lernenden Orientierung während der selbstständigen Erarbeitungsphase und enthielt objektive Bewertungskriterien.
Neben der kriteriengeleiteten Bewertung des Lernprodukts durch den Lehrer wurde bei der Projektarbeit auch die Bewertungskompetenz der Schüler:innen mithilfe von Selbstbewertungsverfahren und Peer-Feedback gefördert.
Die neueste Entwicklung für den MINT-Unterricht sind KI-basierte adaptive Lernplattformen wie Klett-Studyly, die den Schülern z. B. im Fach Mathematik je nach Leistungsstand Übungsaufgaben zuweisen können (siehe Bild). An der Schule des Autors wurde der adaptive Modus erst kürzlich über mehrere Monate hinweg in der Kursstufe erprobt. Schon nach wenigen Wochen äußerten die Schüler Kritik. Einer von vielen Gründen war, dass die Adaptivität nicht innerhalb einer Aufgabe, zum Beispiel durch gestufte Hilfen erfolgte, sondern durch die Zuweisung völlig unterschiedlicher Aufgabentypen, was zur Folge hatte, dass die Lernenden sich nicht mehr über den Inhalt der (Haus-)Aufgaben austauschen konnten und die Lehrkräfte das Gefühl hatten, die Kontrolle darüber zu verlieren, was die Lernenden überhaupt können. Nach einer ausführlichen Schüler-Evaluation wurde entschieden, den Mathematikunterricht künftig ohne entsprechende Lernplattform fortzusetzen. Es zeigte sich in der Schulpraxis, dass von den Verlagen noch viel Entwicklungsarbeit bei adaptiven Lernplattformen geleistet werden muss.
Ein weiterer Ansatz zur Individualisierung im Unterricht sind textbasierte Live-Feedback-Systeme. Als Beispiel gibt das KI-gestützte Tool fiete individuelles Feedback zu von Schüler:innen verfassten Aufsätzen. Das digitale Feedback ist dabei abhängig von Kriterien, die die jeweilige Lehrkraft im Vorfeld festgelegt hat. Neben dem individuellen Textfeedback für die Lernenden erhält die Lehrkraft sowohl bei der Erst- als auch bei der finalen Abgabe des Aufsatzes eine grafische Gesamtübersicht (siehe Bild) über den Stand der Klasse in Bezug auf die vorgegebenen individuellen Aufsatzkriterien. Im Physikunterricht der 9. Klasse wurde fiete im Rahmen einer Funktionsbeschreibung des "Elektromotors" erfolgreich getestet. In der Evaluation des Einsatzes von fiete nannten die Lernenden als Vorteile u. a. die schnelle und vorurteilsfreie Rückmeldung. Als Nachteil wurde das teilweise noch oberflächliche Feedback genannt.
Das größte Potenzial für den digitalen MINT-Unterricht liegt in naher Zukunft aber wohl im Einsatz von KI-basierten ChatBots. Erste Anbieter aus Deutschland wie TutorSpace mit ALENA (siehe Bild) oder fobizz mit der KI-Tool-Assistenz (siehe Bild) bieten bereits Zugänge zu virtuellen MINT-Lehrern an. Technisch gesehen handelt es sich um datenschutzkonforme Zugänge zu ChatGPT 4.0 in Kombination mit dem Mathematik-Plugin Wolfram Alpha.
Die Antworten der ChatBots bestehen dabei sowohl aus Text als auch aus Formeln und Graphen. Selbst bei Abituraufgaben im Fach Mathematik sind dabei keine nennenswerten mathematischen Fehler nachweisbar. Selbst handschriftliche Rechnungen von Schülern können als Bild in die ChatBots eingefügt werden – und das KI-System diagnostiziert den Fehler in der Herleitung sofort und leitet die richtige Lösung der Aufgabe detailliert her.
ChatBots können zwar niemals das didaktisch motiviert eingesetzte Fachwissen die Kreativität und das Einfühlungsvermögen einer Lehrkraft ersetzen, aber in allen Klassenstufen als individuelle Lernhilfe vor allem bei den Hausaufgaben, der Nachhilfe oder der Klausurvorbereitung sinnvoll im MINT-Unterricht eingesetzt werden.
Diese KI-Anwendungen sind derart nützlich, dass es äußerst wünschenswert wäre, Lehrer-ChatBots aus Gründen der Chancen- und Bildungsgerechtigkeit allen Schülern zum Beispiel über Landeslizenzen kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
Beim Einsatz von KI-Tools im Klassenzimmer muss der Datenschutz zwingend beachtet werden. Die beschriebenen Aufgaben mit Text- und Bild-KI-Tools wurden im Unterricht über die DSGVO konformen Tools durchgeführt (Zur Auswahl stehen KI-Tools von fobizz, SchulKI und DieSchulApp). Die Nutzung der beschriebenen KI basierten Lernplattformen im Fach Mathematik (Studyly, Alena und fiete) erfolgte über deutsche Anbieter mit API-Schnittstelle.
Zum flexiblen Einsatz von KI-Tools im Klassenzimmer hat das Friedrich-Gymnasium Freiburg über den Anbieter fobizz eine KI-Tool-Lizenz für alle Lehrer*innen abgeschlossen. Diese können über das digitale Klassenzimmer alle KI-Werkzeuge für bis zu sieben Tage für die Schüler:innen freischalten. Weitere Informationen: https://www.fg-freiburg.de/fg/seiten/ki.php.
Fazit
Bereits zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zahlreiche Möglichkeiten KI-Tools in den Unterricht sowie in Prüfungen zu integrieren und dabei die Chancen und Risiken zu diskutieren. Das langfristige Ziel sollte sein, dass der kompetenzorientierte Einsatz von digitalen Medien und KI-Tools von Lehrer*innen nicht als Herausforderung gesehen, sondern zu einem selbstverständlichen Teil der Lern- und Prüfungskultur im MINT-Unterricht wird.
"Tablet oder Kreidetafel? Die Mischung macht´s!"
Zu meiner Person ...